Er duldet keinen Widerspruch.

Humoreske von Arthur Roehl
in: „Emscher Zeitung” vom 16.3.1899


Der Oberst Livonius war ein eingefleischter alter Junggeselle, sonst ein seelensguter Mensch, aber in seinem Hause und in Gesellschaft genau so kurz angebunden, wie vor der Front. Vor allem konnte er durchaus keinen Widerspruch vertragen, er war eben Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, und so wünschte er nur Leute um sich zu sehen, die mit der Hand an der Hosennaht vor ihm standen, und den Ton, der ihm seinem Rang und der Disziplin entsprechend schien, ließ er weder daheim in seinem Schlafrock noch in den Salons seiner Offiziere, in die man ihn lud, außer acht.„Ja, ja!” und„Nein, nein!” mehr durfte sein Diener Heinrich daheim beileibe nicht zu ihm sagen, wenn er ihm nicht mit einem kurzen derben „Hali's Maul, Kerl!” das Wort vom Munde abschneiden sollte. Und auf das Drechseln langer, schöner Redensarten ließ er sich auch in Gesellschaft selbst mit den Damen seines Offizierkorps nicht ein, die er am liebsten genau wie ihre Eheherren in der Front vor sich hätte stramm stehen lassen mögen.

Am allerliebsten wäre der gestrenge bärbeißige Herr gewiß überhaupt jeder Gesellschaft aus dem Wege gegangen.

„'s ist ein wahres Kreuz,” wetterte er, so oft ihm sein Diener Heinrich seine Abend–Gala herbeibringen mußte, „'s ist eine Plage — aber soll auch — Tod und Hölle — mit diesem Abend — zum wenigsten für diese Saison das letzte Mal sein, daß wir eine Einladung annehmen, Heinrich, hast Du gehört!”

Und wenn ihn dann Heinrich ganz kleinlaut daran zu erinnern wagte, daß er dasselbe Gelübde auch schon gelegentlich der letzten Soiree, die er besucht, gemacht, herrschte er ihn an:

„Halt's Maul, Kerl! Kannst Du von so Etwas verstehen? Zum Vergnügen gehe ich gewiß nicht.”

(Hier fehlt eine Zeile des Textes.)

Er ging, weil er glaubte, es dem Dienst schuldig zu sein. So ein Gesellschaftsbesuch war nichts anderes für ihn als eine Art Privatparade, an der auch gleich das weibliche Element seines Offizierkorps teilnahm.

Um des Dienstes willen wurde natürlich auch er nur geladen. Als ein Vergnügen wurde die Gegenwart des alten Haudegens in den Salons seiner Offiziere auch nicht empfunden.

Vielleicht nur um des lieben Dienstes willen hatte eines Abends der Herr Leutnant von Pritzwalk die Aufmerksamkeit des hohen Herrn auf die bewundernswerte Geschicklichkeit gelenkt, die er in der sogenannten höheren Salonmagie besaß. Sich seinen Vorgesetzten von seinen nettesten Seiten zu zeigen, kann nie von Nachteil sein, und der junge Offizier war wirklich ein rechter Tausendsassa. Er konnte die verblüffendsten Kartenkunststückchen. Seine größte Force aber war es, allerhand Gegenstände verschwinden zu lassen und sie in den Taschen und in dem Besitz von Leuten, die gar keine Ahnung von dem Ding hatten, wieder zu finden. Selbst der Herr Oberst gab dem Herrn Leutnant schmunzelnd seinen Beifall kund.

„Sapperlot, Pritzwalk,” sagte er zu ihm,„wenn es eines Tages gar nicht mehr im Dienst gehen wird, werden Sie wirklich noch als Prestidigitateur zu gebrauchen sein können!”

Als sich der Herr Leutnant Pritzwalk dann aber nachher, als man sich von der Tafel erhoben hatte und gruppenweise in dem Salon stand, in seine Nähe drängte und die gehorsamste Bitte riskirte, vielleicht auch einmal mit den Taschen des Herrn Obersten operiren und zusehen zu dürfen, ob sich dort etwas heraus– oder hineinbugsiren ließ, war der Gestrenge gar nicht mehr gnädig.

„Alberei!” sagte er.„Lassen Sie mich ungeschoren.” Und das kam in einem Ton heraus, daß der arme Leutnant verstummte.

Eine Weile wich dieser gleichwohl noch nicht aus seiner Nähe. Die Schoßtaschen des Herrn Obersten schienen es ihm angethan zu haben. Er heftete auf sie einen sehnsüchtigen Blick, als ob er trotz seiner barschen Abfertigung noch immer nicht den Plan aufgegeben, den status quo darin zu verändern. Indes er konnte nicht an sie heran. Er hatte den Herrn Oberst einmal argwöhnisch gemacht, und dieser Argwohn trug ihm, als er sich nicht aus seiner Nähe entfernte, einen abermaligen und diesmal noch geharnischteren Rüffel ein.

„Mordselement!” fauchte der Oberst.„Wollen Sie mich mit Ihrem Humbug denn noch nicht zufrieden lassen? Scheren Sie sich zum Teufel, Herr Leutnant!”

Der Leutnant scherte sich jedoch gar nicht zum Teufel, sondern suchte eilends in dem Saal die Hausherrin auf.

„Um Gottes willen, gnädige Frau!” bat er sie um eine Minute Gehör unter vier Augen. „Denken Sie nur, die schöne goldene Zuckerdose von der Tafel, die ich vorhin der Komtesse von Y. unter die Serviette gezaubert —”

„Wo steckl sie jetzt, Herr Leutnant von Pritzwalk?” unterbrach ihn die Gnädige lächelnd.

„Wehe mir, in der Uniform des Herrn Oberst, gnädige Frau, und der Herr Oberst weigert sich, sie herauszugeben!”

„Er weigert sich?”

„Er weigert sich, mich mit seinen Taschen operiren zu lassen, sodaß ich nicht wieder herauskriegen kann, was ich hineinbugsirt habe.”

Die Gnädige lachte. Sie begriff die Situation und versprach dem Leutnant zur Befreiung des goldenen Döschens ihre Hülfe.

Sie trat an den Regimentsgewaltigen heran.

Die Sache mußte natürlich diplomatisch angefaßt werden. Mit plumper Gewalt hätte sie den gestrengen Herrn nur erboßen und Herrn von Pritzwalk blosstellen können.

„Sie sind ein recht böser Mann,” sagte sie also mit dem lieblichen Lächeln, das ihr zu Gebote stand, zu ihm. „Den armen Herrn Leutnant von Pritzwalk so zu enttäuschen. Der gute Mensch ist ganz wie gebrochen, daß er Ihnen nicht zeigen darf, was er kann.”

Indes, was der Oberst nicht wollte, wollte er nicht. Da konnte auch das lieblichste Lächeln der lieblichsten Frau seines Offizierskorps nichts nützen.

„Und Sie wollen dem armen Herrn von Pritzwalk auch mir zur Liebe nicht erlauben, Herr Oberst —”

Der Oberst reckte sich höher und nahm die Kommandomiene an, die die Mannschaften aller seiner vier Bataillone mit einem Ruck versteinern ließ.

„Frau Hauptmann von Huwald,” sagte er, „Sie find eine Dame meines Regiments und müssen mich kennen. Widerspruch giebt es in meinem Regiment nicht. Ich sage ja oder nein, und das muß auch den schönen Frauen in meiner Machtsphäre genügen.”

Und dann sagte er wie auf dem Kasernenhof: „Danke,” und die Frau Hauptmann sah ein, daß das goldene Döschen auf unverfänglichem Wege nicht zu befreien war.

„So lassen wir es ihm,” tröstete sie den Leutnant, der sich natürlich äußerst zerknirscht über den Zwischenfall zeigte. „Wenn er nach Hause kommt, wird man das Ding in seiner Tasche schon finden, und dann wird er von selbst darauf kommen, wohin er es zurückzusenden hat. Heute ist, wenn man ihn nicht ganz und gar böse machen will, mit ihm nichts anzufangen.”

Gefunden wurde das Ding bei ihm zu Hause in der That. Die Frau Hauptmann hatte ganz richtig geraten. Heinrich entdeckte es, als er am nächsten Morgen die Gala–Uniform seines Gebieters von dem Gesellschaftsstaub zu säubern begann; er war starr vor Staunen.

Eine fremde goldene Zuckerdose in der Rockschoßtasche des Gestrengen!

Er war ratlos, wie er sich das Ding auslegen sollte. Er war in einem bösen Dilemma.

Interpellirte er über den Fund den Herrn Oberst? Oder interpellirte er ihn lieber nicht?

Alles im allem genommen, glaunter er ihn aber doch lieber von drm Vorfall in Kenntnis setzen zu sollen, denn wie er seinen Herrn kannte, war er doch kein Dieb!

„Der Herr Oberst verzeihen”, begann er zu einer für die Meldung günstig dünkenden Zeit, doch der Herr Oberst ließ ihn, wie immer, woe immer, nicht über die Einleitung seiner Meldung hinaus. Ein energisches „Halt's Maul!” brachte ihn schließlich in der Angelegenheit für immer zum Schweigen. Was ging das Zuckerdöschen ihn an? Und warum sich Unannehmlichkeiten darum aussetzen? Er stellte es akso ruhig beiseite unter die vielen anderen Gold– und Silbersachen des Herrn Oberst und die Frau Hauptmann hatte das Nachsehen. Das Döschen kam nicht zu ohr zurück.!

Und doch sah es eines Tages Herr v. Pritzwalk wieder auf ihrer Fesnafel prunken.

„Potztausend! Gnädige Frau!” rief er aus.„Das ist ja &mdsash; wie ist denn dies Döschen wieder zu Ihnen gekommen? Oder ist dies ein anderes Döschen als das, welches ich damals — Sie wissen, vor Jahren — an den Oberst verzaubert hatte!”

Die Frau Hauptmann lachte und machte ein äußerst geheimnisvolles Gesicht.

„Pst, pst!” nickte sie. „Es ist dieselbe Dose, Herr Leutnant.”

„So hat sich denn aber das Dimg nach so langer Zeit wieder eingefunden, gnädige Frau?””

„Sehr einfach,” erklärte die Frau Hauptmann. „Sie wissen, ich habe auf dem letzten Kasinoball mit dem Herrn Oberst ein Vielliebchen, gegesseg, Der Herr Oberst hat das Vielliebchen verloren. Die Dose — das ist das Präsent, das er mir gemacht hat.”

Herr von Pritzwalk ließ sein Monoele vor Verwunderung aus seinem Auge gleiten.

„Hm,” nickte sie zur Bestätigung. „Ich war ja auch eine Weile ganz paff. Aber, Herr Oberst,” stammelle ich, als ich das Präsent sah, „das ist ja — wirklich, das ist ja” — Er ließ mich aber nicht ausreden, und das war gewiß auch — das beste. „Keinen Widerspruch, gnädige Frau,” bat er sich aus. „Sie haben das Vielliebchen gewonnen, Preis gebührt Ihnen, und freue ich mich,” schmunzelte der alte Isegrimm, ahnungslos, wie er sich mit seinem angeblich aus seinem alten Gold– und Silberkram herausgesuchten Präsent kompromittirte, „freue mich wirklich, daß ich Ihnen mit diesem kleinen Ding eine ganz besondere Ueberraschung zu bereiten scheine.”

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